Gensaat im Gegenwind

von Manfred Christ

Am 14. April stoppte Bundesagrarministerin Aigner (CSU) entgegen der Empfehlung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA den Anbau der umstrittenen gentechnisch veränderten Maissorte Mon810. Diese produziert mithilfe eines fremden Gens ein Insektengift, das nicht nur Schädlinge bekämpfen soll, sondern auch in die Umwelt und in die Nahrungskette gelangt. Grundlage des Verbots sind neuere Studien, die auffällige Reaktionen des Immunsystems bei Mäusen, eine höhere Sterblichkeit von Marienkäferlarven und Orientierungsprobleme von Bienen aufzeigen. Die Ministerin beeilte sich jedoch hinzuzufügen, dass es sich um eine Einzelentscheidung handelt, die kein generelles Anbauverbot für Gensaat bedeutet.

Als erstes Rückzugsgefecht dürfte bereits der Vorstoß von Forschungsministerin Schavan (CDU) zu werten sein, die mit dem Anbauverbot den Forschungsstandort Deutschland bedroht sieht. «Mitten in einer schweren Wirtschaftkrise», gab sie noch am gleichen Tag zu verstehen, «setze ich besonders auf die Hochtechnologie wie die grüne Gentechnik. Zum einen, weil sie Arbeitsplätze absichert, und zum anderen, weil wir ethisch verpflichtet sind, den Hunger in der Welt mithilfe gentechnisch veränderter Pflanzen zu bekämpfen.»

Gerade in der Hungerdebatte hat sich die moralische Keule immer wieder als Argumentationshilfe bewährt, wenn es in Wirklichkeit um die Durchsetzung nationaler, kommerzieller oder parteipolitischer Egoismen geht. Die «völlig unwissenschaftliche Angst» der Europäer vor Gen-Nahrung sei daran schuld, so begründete schon 2003 George W. Bush seine Klage vor der WTO, dass Afrikaner und andere notleidende Völker nicht von den Vorzügen moderner Agrartechnik profitieren könnten, weil Genprodukte auf dem EU-Markt keinen Absatz finden.

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Gentechnisch modifizierte Reispflanzen im Labor von BASF Crop Design.

Einen Blick in die von Bush verheißene gentechnische Zukunft können die Hungernden Afrikas und anderer notleidender Länder bereits heute werfen. Doch dies würde ihnen eher den Magen verderben anstatt den Hunger zu lindern. So haben sich einige Länder Südamerikas wie Argentinien oder Paraguay in den letzten Jahrzehnten zu endlosen Agrarwüsten mit Soja-Monokulturen verwandelt, deren Erträge die Mastfuttersilos rund um den Globus füllen – und die Taschen ausländischer Investmentfonds, nicht aber die Töpfe und Teller der Hungernden. Eine Umweltkatastrophe steht hier unmittelbar bevor. Die Böden sind vergiftet und erschöpft. Konventionelle oder gar biologische Landwirtschaft ist durch die Ausbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut nicht mehr vorstellbar. Seit 1995 weist Paraguay eine negative Ernährungsbilanz auf, es werden heute mehr Nahrungsmittel importiert als ausgeführt. Die Existenz zahlloser Kleinbauern und ihrer Familien wurde vernichtet.

Das Schlimmste, was den Hungernden der Welt passieren kann, ist die Fürsorge von Konzernen wie Monsanto oder ihrer europäischen Konkurrenten Syngenta, Bayer und BASF und nicht zuletzt von Politikern wie Annette Schavan, die unbeeindruckt von der Fülle nachteiliger Erfahrungen das Argument der Gentechnik wie eine Monstranz vor sich hertragen. Unbelehrbar wird eine Mixtur aus technischem Fortschritt und Produktionssteigerung als Allheilmittel zur Hungerbekämpfung verordnet, und nachdem sie sich in der Vergangenheit als unwirksam erwiesen hat, versucht man ihr nun die Wunderdroge Gentechnik beizumischen. Auch die Milchseen und Butterberge der EU haben den Hunger in der Welt nicht gelindert, stattdessen wurde die Not anderer zu einem unentbehrlichen Faktor der Profitmaximierung im weltweiten Handel mit Agrarprodukten. Armutsregionen wie Haiti, wo es 2008 zu bürgerkriegsähnlichen Hungerrevolten kam, dienen als Reservemärkte für US-Agrarüberschüsse und zeigen, dass man auch am Elend anderer prächtig verdienen kann.

Während mit subventionierten Lebensmitteln zugleich der Hunger exportiert wurde, exportiert Monsanto nun mit genmanipuliertem Saatgut den Tod. In Indien, wo sich allein 2007 mehr als tausend Kleinbauern das Leben nahmen, nachdem sie sich für den Kauf von Saatgut der transgenen BT-Baumwolle hoch verschuldet und auf den erhofften Ertrag vergeblich gewartet hatten, spricht die dortige Bauernvereinigung VJAS bereits von einem «regelrechten Völkermord», ausgelöst durch die leeren Versprechungen der Saatgutkonzerne.

Solange die Profitmaschine Agrarwirtschaft, die heute weitgehend von multinationalen Konzernen wie Monsanto kontrolliert wird, mit höchster Drehzahl läuft, können existenzielle Grundbedürfnisse nach Nahrung nicht befriedigen werden. Dies zeigt nicht nur die Konkurrenz von Biotreibstoffen, die Nahrungspflanzen weltweit von den Feldern verdrängen. In den Laboratorien der Konzerne bastelt man längst an der genetischen «Verbesserung» weiterer Pflanzentypen als Rohstoff für die industrielle Weiterverarbeitung. So handelt es sich etwa bei der Amflora-Genkartoffel von BASF um eine reine Stärkekartoffel, die nicht für den Verzehr bestimmt ist und nur für die industrielle Anwendung etwa bei der Papierveredelung verwendet werden kann.

Freuen können sich darüber nur die EU-weit circa 96 500 Beschäftigten in der Biotechnologieindustrie, von denen aber sicher nur ein Bruchteil der Agroindustrie zuzuordnen ist. Diese Zahl genügt der EU-Kommission, um darin einen «bedeutenden Wirtschaftszweig» zu erkennen, «der stärkere öffentliche Förderung verdient.» Wie Frau Schavan, die um jeden Arbeitsplatz wie eine Löwin um ihre Jungen kämpft, hat sie offenbar die Beschäftigten in kleinbäuerlichen und vor allem ökologisch wirtschaftenden Betrieben nicht auf ihrer Rechnung. Allein in Deutschland arbeiten in der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft nach Branchenschätzungen etwa 160 000 Menschen, in der EU wohl mehr eine halbe Million. Nun soll, geht es nach der Empfehlung der EU, mit dem Geld der Steuerzahler die Zerstörung dieses beschäftigungsintensiven Wirtschaftszweiges aktiv betrieben werden – denn nichts anderes bedeutet der Vormarsch der grünen Gentechnik für jede Form des biologischen Landbaus, dem hier sprichwörtlich der (Acker-)Boden entzogen wird. Über einen nennenswerten Beschäftigungseffekt dürften sich nur die Anwaltskanzleien, Detekteien und Inkassounternehmen freuen, wenn Monsanto seine in anderen Teilen der Welt praktizierte Strategie der Schutzgelderpressung in Form von Lizenzgebühren auf Europa ausweitet.

«Wenn der Magen leer ist, raufen sich die Esser». Dieser Satz von Bert Brecht mag auch die Sorge der Ministerin Schavan um den Standort Deutschland erklären, die wohl vor allem der Drittmittelförderung in der Forschung gilt. Denn während Gentechnik bisher nicht das Geringste zur Hungerbekämpfung beigetragen hat, füllt sie auf Umwegen doch immerhin die Finanzierungstöpfe der Forschungsinstitute. Von einer unabhängigen Wissenschaft kann indes kaum noch die Rede sein, und man muss die Voreingenommenheit von Forschern wie Dr. Stefan Rauschen von der TU Aachen, die in ihrem Glaubenseifer einer wissenschaftlich fundierten Bewertung vorausgreifen, durchaus zu den Risiken der Gentechnik addieren. Als Koordinator eines Forschungsprojekts zu den Umweltauswirkungen von Mon810 wirft er in einem offenen Brief zögernden Politikern Kleinmut bei der Durchsetzung der Gentechnik und der Öffentlichkeit Ignoranz vor und fordert groß angelegte Freilandversuche. «Es konnten keine Hinweise darauf gefunden werden», so sein Resümee, «dass von Mon810 ein größeres oder anderes Risiko einer Gefährdung der Umwelt ausgeht, als vom konventionellen Maisanbau», auch was die Wirkung «auf Nichtzielorganismen, auf den Boden, auf angrenzende Habitate, geschützte Schmetterlinge, auf tierische Gesundheit und Produktion» betrifft.

Dies überrascht nicht nur angesichts jener Studien, die gerade zum Verbot der umstrittenen Maissorte geführt haben oder die die Unbedenklichkeit ähnlicher transgener Sorten seit Langem infrage stellen. Selbst Monsanto hat sich in einer Überwachungsstudie, die vom zuständigen Bundesministerium als «zu dünn» bezeichnet wurde, nicht einmal die Mühe gemacht, auf mögliche Auswirkungen auf Boden und Wasser einzugehen – geschweige denn entlastende wissenschaftliche Daten vorzulegen. Ohnehin verhält es sich mit der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen wie beim klassischen Paradox von Achill und der Schildkröte, indem keine noch so sorgfältige Überwachung jemals die Realität einholen kann und Schäden in einem komplexen System wie der Biosphäre unmöglich prognostiziert werden können. Einer Risikotechnologie wie der Gentechnik kann daher nur mit dem Vorsorgeprinzip begegnet werden. Dies bedeutet ein generelles Freisetzungsverbot aller gentechnisch veränderten Organismen, das die Saatgutkonzerne, kaum dass eine Sorte verboten ist, auch nicht mit der Anmeldung immer wieder neuer Varietäten unterwandern können.

Welche Perspektiven sich für die Freiheit der Forschung tatsächlich eröffnen, wenn sich grüne Gentechnik auf europäischen Äckern durchsetzt, zeigte sich auf andere Weise bereits einen Tag nach dem Verbot von Mon810. An jenem 15. April 2009 ließen mehrere tausend Bauern vor dem Europäischen Patentamt in München die Sau raus. Während ihre Schweine, die sie mitgebracht hatten, den Rasen vor der Behörde gründlich durchpflügten, war wiederum Monsanto Zielscheibe des Protests. Diesmal ging es darum, einem Einspruch gegen das Patent EP 1651777 Nachdruck zu verleihen. Mit ihm hat sich der Konzern ein Testverfahren schützen lassen, mit dem bestimmte genetische Merkmale festgestellt werden können, die für die Zucht besonders interessant sind. Nach der ursprünglichen Formulierung des Antrags müssten alle Schweine, die mithilfe des patentierten Verfahrens das Licht der Welt erblicken, samt ihrer Nachkommen als «geistiges Eigentum» von Monsanto betrachtet werden. Da hatte es der Konzern aber zu toll getrieben und war bereits im Zulassungsverfahren gescheitert.

Das bereits 2005 im Internationalen Patent WO 2005/015989 formulierte Ansinnen Monsantos geht jedoch noch einen Schritt weiter und beansprucht die Rechte auf bekannte Zuchtmethoden wie Kreuzung, Selektion und künstlichen Besamung und auf das fragliche Gen selbst. Damit könnte Monsanto für alle Schweine Lizenzgebühren fordern, bei denen die im Patentantrag beschriebenen Gene auch in natürlicher Weise vorkommen. Das bewährte Inkassoverfahren, bei dem ahnungslosen Farmern wie Percy Schmeiser aus heiterem Himmel eine Rechnung über Lizenzgebühren präsentiert wird für patentierte Gensaat, die sich auf seinen Acker verirrt hat, könnte mit einem solchen Patent auch auf Tierzüchter ausgedehnt werden. Den Landwirten bliebe nichts anderes übrig, als zu zahlen oder sich auf einen zermürbenden Rechtsstreit einzulassen, bei dem sie die Herkunft ihrer Zuchtsau erst einmal nachweisen müssten.

Wie ein Dieb, den man mit der Hand in der Keksdose erwischt, wird Monsantos hier in seiner wirklichen Absicht überführt, neben der Nutzung von Patenten auch das Monopol über Zucht und Forschung zu erlangen – der Schlüssel zur weltweiten Kontrolle über die Agrarwirtschaft. Auf das Saatgut bezogen bedeutet dies, dass die Kontamination konventioneller Sorten und deren Verschwinden durchaus als Teil der Konzernstrategie betrachtet werden muss.

Damit käme nicht nur der traditionellen Landbau zum Erliegen – wie dies in weiten Gebieten Amerikas und Asiens schon heute der Fall ist. Eine Sortenreinheit wird bald nicht mehr zu gewährleisten sein. Doch damit die Regale für konventionelle und Bioprodukte auch künftig nicht leer bleiben, hat die EU schon vorgesorgt – und zeigt damit, dass sie diese Folgen einer Verunreinigung mit gentechnisch verändertem Saatgut durchaus im Blick hat. In ihrem Entwurf zur Neuregelung der Saatgutrichtlinie ist ein Grenzwert von 0,3 Prozent oder höher vorgesehen, unter dem eine Verunreinigung nicht gekennzeichnet werden muss. Doch ob Züchter und Saatgutforscher dann überhaupt noch auf konventionelle Sorten zurückgreifen können, ist ohnehin fraglich. Durch Auskreuzung von manipuliertem Erbgut wird es, wie die Durchseuchung traditioneller Maissorten in Mexiko schon heute zeigt, bald kein konventionelles Saatgut mehr ohne transgene DNA geben, die den Stempel von Monsanto trägt. Dies bedeutet dann das Ende unabhängiger Saatgut-Forschung am «Forschungsstandort Deutschland».

Angesichts solcher Szenarien wird es einem bei der Kontroverse um die Gentechnik besonders mulmig, wenn ihre Anwendung als ethischer Imperativ dargestellt wird. Wer von Ethik spricht, muss die Gesamtheit des praktischen Wissens und der Erfahrungen ins Auge fassen, bei der selbst die Bewertung fragwürdiger wissenschaftlicher Studien kaum ins Gewicht fallen darf angesichts der Summe der sozialen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Verwerfungen im Zusammenhang mit dem Einsatz gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft. In diese Gesamtschau ist auch das mit ihr verbundene Anbaukonzept einzubeziehen wie auch die Strategie der Konzerne, ein parasitäres System zu etablieren, mit dem sie ohne nennenswerte wirtschaftliche Leistung auf Kosten der Landwirte, der Verbraucher und nicht zuletzt der Umwelt Gewinne erzielen. Wer von Ethik spricht, ist vor allem aufgefordert, dies nicht tatenlos hinzunehmen.

Von Marie Antoinette wird berichtet, sie habe am Vorabend der Französischen Revolution den Anblick der Hungernden in den Straßen von Paris mit der Bemerkung kommentiert, wer kein Brot habe, möge doch Kuchen essen. Heute sind es Aussagen wie die von Annette Schavan, die die Ignoranz der Satten gegenüber den Hungernden dieser Welt illustrieren – gegenüber jenen, die weder über das tägliche Brot noch über ihren gerechten Anteil vom fetten Kuchen der weltweiten Nahrungsressourcen verfügen. Vieles spricht dafür, dass eine Versöhnung von Politik und Vernunft auch künftig nicht zu erwarten ist, solange die falschen Verheißungen der Saatgutlobby bei politischen Entscheidungen schwerer wiegen als die von ihr verursachten und hinlänglich dokumentierten Schäden.

Das Anbauverbot von Mon810, dem eine massive Kampagne verschiedener Umweltorganisationen vorausgegangen war, hat jedoch gezeigt, dass im Gegenwind zivilgesellschaftlicher Kräfte keine Gensaat gedeihen kann. Auch bei seinem juristischen Vorgehen gegen das Verbot ist Monsanto, dem weniger am Anbau dieser Maissorte gelegen ist als daran, den Widerstand in der EU gegen Genprodukte zu brechen, inzwischen gescheitert. Für den Saatgutriesen ging damit jedoch nur eine Schlacht verloren, nicht aber der Kampf um den lukrativen europäischen Saatgutmarkt als eine der letzten nahezu gentechnikfreien Bastionen auf dem Agrar- und Nahrungsmittelsektor. Für mehrere vergleichbare Maissorten wurde bereits eine EU-Zulassung beantragt und in Zusammenarbeit mit dem deutschen Chemiekonzern BASF Plant Science soll eine neue trockenresistente Maissorte entwickelt und bis 2012 zur Marktreife geführt werden.

Buchhinweis:
Bedrohte Saat. Saatgutpflege und der Kampf gegen die Macht der Agrokonzerne, mit Beiträgen von Nikolai Fuchs, Tina Goethe, Bertold Heyden, Manfred Klett, Petra Kühne und Ursula Prall, hrsg. von Manfred Christ. Erscheint voraussichtlich im Herbst 2009 im Pforte Verlag.

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