Friedrich Schiller als Professor in Jena

Nachbetrachtung zu einer Textausgabe von Schillers akademischer Antrittsrede "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?"

von Manfred Christ

Am 26. und 27. Mai 1789 hielt Friedrich Schiller seine Antrittsvorlesung als Historiker an der Universität Jena. Sie bildete den Auftakt zu einer Vorlesungsreihe, die er unter dem Titel «Einführung in die Universalgeschichte» für das Sommersemester angekündigt hatte. Keiner der etwa 800 Studenten an der Universität Jena wollte dieses Ereignis versäumen und bald stellte sich heraus, dass der von Schiller ursprünglich vorgesehene Vortragssaal dem Andrang nicht gewachsen war. Bis zum Eingang stauten sich die Besucher und viele mussten wieder umkehren. So entschloss sich Schiller kurzerhand, die Vorlesung in das einige Straßen entfernte Grießbach’sche Auditorium zu verlegen, das bis zu 400 Zuhörer fassen konnte. Die nun einsetzende Jagd auf die freien Plätze führte quer durch Jena und muss – wie er später amüsiert feststellt – einen solchen Tumult verursacht haben, dass selbst die nahe gelegene Feuerwache in Alarm versetzt wurde. Erst die Erklärung, «der neue Professor wird lesen», sorgte für Entwarnung.

Schiller

Friedrich Schiller, Miniatur, um 1989

Schiller, der seinem ersten Auftritt auf dem Katheder mit gemischten Gefühlen entgegensah, gab dieser unerwartete Andrang jenes Selbstvertrauen, zu dem er während der kurzen Vorbereitungszeit auf seine Professur nie gefunden hatte. Systematische Studien auf dem Gebiet der Geschichte hatte er erst seit 1786 betrieben und als Autodidakt konnte er keineswegs aus dem Wissensfundus eines Fachgelehrten schöpfen. Es war daher nicht nur Bescheidenheit, als er am 15. Dezember 1788 gegenüber Goethe, der ihn für die Professur vorgeschlagen hatte, Zweifel an seiner Eignung äußerte. Lehrend lerne man, hatte ihn Goethe aufgemuntert, doch Schiller wusste nur zu gut, dass er seine begrenzten Detailkenntnisse auf Dauer nicht verbergen konnte. Erschwerend kam hinzu, dass er keineswegs mit der Gabe eines Redners gesegnet war und er seinen hohen Ansprüchen an sich selbst nur durch eine aufwändige und Zeit raubende Vorbereitung gerecht werden konnte.

Selbst sein philosophischer Scharfsinn, seine Überlegenheit bei der Behandlung methodischer und geschichtsphilosophischer Aspekte, die er gerade in seinem Pflichtfach Universalgeschichte in die Waagschale werfen konnte, vermochten ihn nicht von seiner Unsicherheit zu befreien. Dabei war Schiller über aktuelle Tendenzen der Geschichtsforschung bestens informiert. Schon während seiner Zeit in der Stuttgarter Karlsschule hatte er sich – trotz Leseverbots! – bei der Lektüre von August Ludwig Schlözers Universal-Historie mit dem modernen Geschichtsverständnis des weltoffen und politisch engagierten Historikers vertraut gemacht. Auch später empfing er aus universalhistorischen Fragestellungen wesentliche Anregungen, etwa durch Kants Aufsatz Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht oder durch den persönlichen Umgang mit Herder, der damals gerade seine Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit entwickelte. Doch der Erwartungsdruck war enorm, und Schiller wollte mit seiner Antrittsrede sich selbst und seinen Zuhörern beweisen, dass er in der Lage war, ein Feld zu erweitern, das er nie richtig durchpflügt hatte.

Schillers Antrittsrede wurde zu einem triumphalen Ereignis für den frisch gekürten Professor, der mit Vivat-Rufen nach Hause eskortiert wurde. Doch mit diesem glanzvollen Erfolg hatte er bereits den Höhepunkt seiner akademischen Laufbahn erreicht, die beinahe ebenso schnell wieder zu Ende war, wie sie begonnen hatte. Erst wenige Monaten zuvor, am 9. Dezember 1788, hatte ihm der im Herzogtum Weimar für das Hochschulwesen zuständige Regierungsrat Voigt die Professur angetragen und ihn zu einer raschen Entscheidung gedrängt. Schiller stimmte nolens volens zu, ohne sich über die Konsequenzen dieser Entscheidung im Klaren zu sein. Bereits am 21. Januar 1789 erfolgte seine förmliche Ernennung zum Professor, am 30. April nahm er sein Diplom entgegen und leistete den Eid als Magister. Schiller fühlte sich durch das rasante Tempo, mit dem seine Ernennung vonstatten ging, in die Enge getrieben, zeitweise geradezu in Panik versetzt. In einem Brief an seine künftige Frau, Charlotte von Lengefeld, schreibt er am 23. Dezember: «Ich selbst habe mich aber übertölpeln lassen, und jetzt, da es zu spät ist, möchte ich gerne zurücktreten.»

Akademie

Altes Akademiegebäude in Jena

Dies war sicher kein Zeichen der Hysterie, viel eher der Ernüchterung. Wer ihn kannte, wusste es längst: Das Verhältnis zum akademische Lehrbetrieb konnte für das «ungezähmte Genie» (Caroline von Wolzogen) naturgemäß keine Liebesbeziehung werden. Nur wenige Wochen vor seiner Antrittsrede äußerte er in einem Brief an Körner, eine reiche Heirat würde er einem einträglichen Amt allemal vorziehen – «und die Akademie in Jena möchte mich dann im Asch lecken ...» (9. März 1789). Und auch seine Dankbarkeit gegenüber Goethe, auf dessen Betreiben Schillers Berufung erst zustande kam, hielt sich in Grenzen, wie im selben Brief deutlich wird: Goethe sei ihm im Wege, beklagt er sich, und erinnere ihn nur daran, wie hart ihn das Schicksal behandelt habe! Eine Annäherung an Goethe, die schließlich zur Freundschaft führte, kam erst 1794 zustande.

In Schillers Äußerungen klingt jedoch mehr als nur Verzweiflung darüber an, dass nun ein «heilloser Katheder» seine Unabgängigkeit ersetzen sollte. Schiller fühlt sich übervorteilt: »Diese Professur soll der Teufel holen, sie zieht mir einen Louisdor nach dem andern aus der Tasche», beklagt er sich in einem Brief an seinen Freund Körner und bezieht sich dabei auf Gebühren und Notariatskosten für den ganzen «Magisterquark», für die er selbst aufkommen musste. Als freier Schriftsteller, der bis dahin den Lebensunterhalt von seinen Einkünften aus seinen Werken bestreiten musste, betrachtete er die zunächst unbesoldete Professur wohl vor allem als Anwartschaft auf regelmäßige Einkünfte, die ihm etwas vom dem Druck nehmen sollten, unentwegt gegen das Verhungern anschreiben zu müssen. Selbst Körner wollte ihm seine Skepsis am Erfolg seiner Pläne nicht nehmen und gab ihm zu verstehen, dass «Jena an ihm, nicht er am Professorentitel eine Akquisition mache». Die erhofften Einnahmen und eine gesicherte bürgerliche Existenz sollten darüber hinaus eine Voraussetzung zur Verwirklichung seiner Heiratspläne bilden. Doch der umgekehrte Fall trat ein. Erst als Herzog Karl August durch Frau von Stein erfuhr, dass Schiller im Dezember um Charlotte von Lengefelds Hand angehalten hatte, gewährte er ihm eine bescheidene Apanage von 200 Talern – dazu den Titel eines Hofrats, der ihn allerdings nicht mehr als einen Federstrich kostete.

Die Überlegung, dass der Historiker ein besserer Ernährer sei als der Poet, war sicher richtig, wie der Verkaufserfolg seiner 1788 erschienenen Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande bewies. Doch neben dem Honorar aus der Publikation seiner historischen Vorlesungen stellten die «Kollegiengelder», die Schiller von seinen Studenten erheben konnte, zunächst den einzigen Ertrag aus seinem Lehramt dar. Die Veröffentlichung seiner Antrittsrede, bereits im Mai 1789 für den Druck überarbeitet, war sicher auch mit einer Werbeabsicht verbunden, und wohl nicht zuletzt deshalb wurden der Vortragscharakter und die Form der persönlichen Anrede beibehalten. Der unerwartete Eindruck, den Schiller in der ungewohnten Rolle des Vortragsredners erwecken konnte, sollte dokumentiert bleiben und würde vielleicht zu einem stärkeren Besuch seines Kurrikulums animieren.

Titelblatt

Titelblatt der veröffentlichten Antrittsrede in Wielands “Teutschem Merkur“

Nach der Veröffentlichung in Wielands Teutschen Merkur erschien das Redemanuskript auch als Sonderdruck in der Akademischen Buchhandlung Jena und erreichte zwei Auflagen. Zunächst erwuchs Schiller daraus aber neuer Ärger. Der Titel eines «Professors für Geschichte», den er sich auf dem Titelblatt fälschlicherweise beigelegt hatte, bot dem Kollegenneid eines gewissen Professors Heinrich, angestachelt durch Schillers Aufsehen erregende Antrittsrede, einen willkommenen Angriffspunkt. Streng genommen war Schiller zum «Extraordinarius der Philosophie» berufen, und in einem als Titulaturstreit bekannt gewordenen Verfahren wurde sein «Versehen» zu einem «Vergehen» hochgespielt. Welche Genugtuung musste es dem «Brotgelehrten» bereitet haben, dem vermeintlich «philosophischen Kopf» mit seinem Pochen auf Formalien eine Lektion zu erteilen und ihm am Tage seines 30. Geburtstags in einer peinlichen Anhörung die Regeln des akademischen Betriebs zu buchstabieren.

Dozentenliste

Dozentenliste der Universität Jena mit Schillers eigenhändigen Eintragungen

Dennoch trieb Schiller die Veröffentlichung seiner Vorlesungen energisch voran. Nach seiner Antrittsrede erschien im Spätsommer 1790 seine Vorlesung über die Gesetzgebung Mosis als Teil einer projektierten Sammlung historischer Memoiren im Druck. Eine Bemerkung seines Verlegers Mauke vom 9. Januar 1790 – «Überhaupt merk ich, dass der Herr Professor vieles Geld braucht» – zeigt, wie sehr Schiller auf das Autorenhonorar als Einnahmequelle angewiesen war. Denn während er seine ersten Vorlesungen über die frühen Gesetzgeber Moses, Lykurg und Solon noch in einem überfüllten Hörsaal hielt, ebbte der Zulauf sehr bald ab, und später ist nur noch von weniger als drei Dutzend Studenten die Rede. Der Reiz des Neuen hatte sich erschöpft, aber auch Schillers labiler Gesundheitszustand, der ihn immer häufiger zur Absage seiner Vorlesungen zwang, mag zu diesem Teilnehmerschwund beigetragen haben.

Von Januar 1791 an kämpfte Schiller gegen eine lebensbedrohliche Krankheit, die ihn für längere Zeit ans Bett fesselte und von der er sich nie mehr vollständig erholen sollte. Schon hatte sich das Gerücht seines Todes verbreitet und mehrere literarische Zeitschriften würdigten ihn mit einem voreiligen Nachruf: «Dramatischer Schwung war seine Methode, Geschichte sein eigentümliches Fach: Dafür interessierte er seine Leser, indem er trockene Tatsachen blühend und voll Verwicklung darstellte.»

Dieses Lob, das der Theaterdichter, der es glänzend verstand, historische Stoffe auf der Bühne wirkungsvoll in Szene zu setzen, sicher für sich beanspruchen durfte, konnte jedoch nicht ohne Weiteres auf den Geschichtsprofessor übertragen werden. Zeitzeugen, die seine Rede als unangemessen pathetisch charakterisieren und seine Kenntnisse als lückenhaft, dürfen als glaubwürdig gelten und werden auch durch Schillers Selbsteinschätzung, wonach er sich wohl nie zu einem «musterhaften Professor» qualifizieren würde, nicht widerlegt. Auch aus den bewundernden Worten Novalis’, der im Wintersemester 1790/91 an Schillers Vorlesungen teilgenommen hatte und Nachtwache an seinem Krankenlager hielt, spricht mehr die Verehrung gegenüber seinem Genie und seiner menschlichen Größe als Bewunderung für seinen Vortragsstil. Dennoch konnte sich Schiller zunehmend von seiner Befangenheit befreien. Im Wintersemester 1790 las er in seinem Pflichtfach Universalgeschichte Von der fränkischen Monarchie bis Friedrich II. und Geschichte der Römer und gab darüber hinaus eine Vorlesung über die Theorie der Tragödie. Dabei schien er sich immer mehr von seinem Manuskript zu lösen und fand zu einem freieren Vortrag.

Schillers regelmäßige Lehrtätigkeit war jedoch nach Abschluss dieser Vorlesungsreihen quasi beendet. Die für die folgenden Semester angekündigten Veranstaltungen fanden krankheitsbedingt nur noch sporadisch, zum Teil in seinen privaten Räumen statt. Seine akademische Karriere begann mit einem Paukenschlag und endete fast unbemerkt. Ihm folgten Geistesgrößen auf den unterschiedlichsten Gebieten, Dichter und Philosophen wie Hegel, Fichte, Schelling, Voß, die Gebrüder Schlegel, Novalis, Hölderlin, Brentano und Arndt, Naturwissenschaftler wie Abbe, Zeiss, Schott, Häckel, die an seiner ehemaligen Wirkungsstätte lehrten oder Vorlesungen besuchten und zum Ruhm der Universität Jena beitrugen. Und doch heißt deren heutiger Namenspatron – Friedrich Schiller.

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